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Mars Mushrooms / The European Ambassadors Of Jam Rock – Bandportrait

Mars Mushrooms

Es stimmt immer noch: Die Welt ist klein. Und trotzdem braucht es manchmal Anstöße von außen, um nahe Verbindungen aufzudröseln.

Konkret geht es um die bayerische Jamband Mars Mushrooms. Der Name, er war mir irgendwie bereits im Ohr. Klar, man bekommt täglich so viele Bandnamen zu hören, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, da den Überblick zu behalten. Aber die Bayern waren mir nicht in einem der täglich einflatternden Newsletter begegnet. Lösen wir es auf.

Nach meinem Review zu Latitudes, dem neuen Werk der Hamburger Jamrocker Pelagic Zone, kam die Band Mars Mushrooms auf mich zu und fragte, ob ich Interesse hätte, etwas über sie zu schreiben, zumal sie mit Pelagic Zone bereits auf der gleichen Bühne standen. Und somit war mein Interesse geweckt, denn dann müsste die Musik genau in mein Schema passen.

Mars Mushrooms – woher war mir der Namen bloß bekannt? Also mal die RockTimes-Suche gestartet und es gab zwei Einschläge. In meinem Review zu Pelagic Zones gleichnamigem Album vor dreieinhalb Jahren hatte ich die Band erwähnt, da sie zusammen mit Pelagic Zone beim alljährlichen Deadheadmeeting in Plauen aufgetreten war. An dieser Stelle möchte ich dieses Meeting im Malzhaus zu Plauen gerne einmal empfehlen. Die kleine aber feine deutsche Deadheadgemeinde konnte mich bereits zweimal auf ihren Treffen von astreiner Planung und Bandauswahl überzeugen. Und auch beim diesjährigen 'Playing in the Band XVIII' waren Pelagic Zone und Mars Mushrooms im Billing.

Der zweite Treffer meiner Suche landete im Bericht von Sabine und Markus über das 2015er Finkenbach Festival. Markus schrieb: »Eine sehr geile Band, die den Jam Rock-Freunden unbedingt ans Herz gelegt werden muss. Mit klasse Jams (mit immer wieder mal Referenzen zu den Grateful Dead und The Allman Brothers Band), die dazu von richtig guten Songs umrandet wurden, verbreitete das Quartett umgehend eine tolle Atmosphäre und viele staunende sowie zustimmende Blicke.«

So ist nun die Ausgangslage und ich kann mich entspannt den Platten widmen, die die Reise von Bayern in die Pfalz wohlbehalten überstanden haben.

Dive [daiv] 2001

Dive [daiv] 2001

2001 erschien "Dive [daiv]", nach "Mars A Morgana" aus dem Jahr 2000, das zweite Werk der Bayern. Gleich der Opener "Bert The Bumblebee" lässt im Kopf des Hörers den Phish-Bounce erwachen. Stilistisch zieht sich dieser Stil über weite Teile des Albums. Dabei werden ganz im Duktus der amerikanischen Jam-Größen natürlich weitere Zutaten hörbar. Sei es der leichte Funk in "Scotime" sowie die immer wieder eingestreuten Gitarrenlinien oder gar dezente Klassiksprengsel im schön relaxten "Dive". "Black Sand" lebt von orientalischem Touch.

Die klassische Jam-Schiene wird bei "Dahlien #21" verlassen und neben in deutscher Sprache hörbarer Gespräche kann man da durchaus eine sehr angenehme Shoegaze-Nummer ausmachen. Auch "Traveling" schert aus dem üblichen Jam aus und präsentiert sich trotz zurückgenommener Fahrt des Gesanges wegen durchaus etwas härter. "Get On The Bus" reggaet entspannt durch die Minuten während "Bongwater Billy" rhythmisch etwas an Dave Brubecks "Take Five"  erinnert. Zumindest so lange, bis eine astreine Southern Rock-Gitarre loslegen darf.

Die Jungs ackern aber wirklich sehr gekonnt und spannend durch die Genres, ohne jedoch die Nähe zum Jam ernsthaft zu verlassen. So auch nicht im karibisch angehauchten "Little Jimmy" und im flotten Country-Rocker "Place Of Constant Night". Entlassen werden wir mit "Death Of An Earthworm", einem Stück, das im Verlauf immer mal wieder urplötzlich und unerwartet den luftigen Jam verlässt und mit psychedelisch langsamen Szenerien sowie schnellen Wah Wah-Läufen für Gänsehaut sorgt.

"Dive [daiv]" ist ein sehr abwechslungsreiches Album – nicht nur musikalisch, mit Didgeridoo, Trompete und Saxofon wird auch anständig veredelt.

Beyond 2001

Beyond 2001

2002 folgte "Beyond 2001", das gleich nach dem "Prelude #79" mit "Whatever" einen sehr rockenden Jam aufs Parkett legt. In gewohnter Phish-Manier schließt sich das luftige "Goin' By" an, das schnell in fast fusionartigen Drive wechselt und aufzeigt, dass eingetretene Pfade nicht das Terrain sind, auf denen sich die Mars Mushrooms bewegen.
"Space Child" kann man getrost als harten, southern angehauchten Jam bezeichnen. Die Saitenarbeit ist vom Feinsten und damit meine ich dicke wie dünne Saiten. Der Drummer legt komplizierte Fundamente und die Zungen der Hörer dürfen schnalzen.

Fast monumental folgt "Sea Of Tears". Dieser Track verlässt das weit gefasste Korsett des Jam-Mutterkleids, ohne jedoch fehl am Platz zu sein. Er demonstriert einfach die enorme Bandbreite der Musiker. Eine tolle Nummer, die irgendwann in spanisch/orientalische Gefilde driftet und einfach nur geil ist. Live und mit dem richtigen Licht muss das ein Erlebnis sein.

Das Didgeridoo dominierte "Finale #21" beschließt ein mit knapp 23 Minuten viel zu kurzes Album.

Throw Down 2003

Throw Down 2003

Die 2003er Scheibe "Throw Down" ist eine Liveplatte aus den Ansbacher Kammerspielen und startet mit einem Monsterjam. "Rubberball" strotzt vor unbändiger Spielfreude. Zumindest achteinhalb Minuten lang, dann driften die Pilze in einen affenstarken Blues. Das Zusammenspiel der Tasten und Saiten ist einfach nur schön. Die Nummer dauert zwar zwölf Minuten, ist aber trotzdem zu kurz. Die Fans jedenfalls bekamen keine Verschnaufpause, denn "Funka La Vista, Baby" macht den Namen zum Programm. Zumindest vom Grundtenor her wird gefunkrockt. Dazwischen gibt es immer mal wieder fast jazzige Intermezzi und einen sauberen Gitarrenpart.

Das Gitarrenspiel von "Healer" lässt an die Götter denken und überhaupt: Das Stück hätte ich mir auch auf Terrapin Station vorstellen können. Und jesses, "Fire Angel" groovt auch in bester Göttermanier. Und dann schwenkt es zu einem relaxten Jam, der wie eine Mischung aus Can’t You See und Sympathy For The Devil klingt. Die Ansbacher Kammerspiele hießen einmal Kammerlichtspiele, der Club war also einst ein Kino. Und genau so klingt "Fire Angel": großes Kino. Das wird wohl 'meine' Nummer der Mars Mushrooms.

"Martian Meet Eating Society Jam" ist wieder ein Jam der funkigen Art, der in zweistelliger Minutenlänge locker flockig und rein instrumental durch die Gehörwindungen treibt. Dem schließt sich mit "Hello Sun" eine eher rockige Variante an, die wieder schön von Tasten und Saiten bedient wird. Dass die Band live einige Schippen drauflegen kann, ist auch bei dem Reggae-Jam "Get On The Bus" zu hören. Die Liveversionen sind natürlich um einiges länger als die Pendants der Studioalben. Aber daran liegt es nicht alleine. Live kann die Band einfach auch auf die jeweilige Stimmung vor der Bühne eingehen und auch mal ein paar Takte drauflegen. Auf jeden Fall merkt man der Spielfreude und den Reaktionen der Besucher an, dass da gut etwas abging im alten Kino. Das fusionartige "Goin' By" mag da auch nochmal explizit als Beweis herhalten, denn die Pilze jammen sich fast in einen jazzigen Rausch.

Transparent Eyeball 2005

Transparent Eyeball 2005

"Transparent Eyeball" aus dem Jahr 2005 ist wieder eine Studioplatte und startet mit "Mr. Caveman" herrlich relaxt in bester Phish-Tradition. Ganz anders dagegen "Heat", das an die Jam-Kollegen Widespread Panic gemahnt. Auf der rockigen Schiene fahren auch "Work Is Never Done", "Overdose" und "The River". Jedoch sind diese forscheren Tracks immer dem jammigen Genre zuzuordnen, da die Mars Mushrooms stets diese locker flockige Spielweise an den Tag legen.
Ganz anders dagegen das ruhige, melodische und lyrisch tiefgehende "Killer". Die Bandbreite der Mushrooms ist, wie bereits gesagt, enorm. Die musikalische Klasse der Protagonisten kann man in Songs wie "Late At Night", "Liquid Laughter" oder "Master Of The Universe" besonders spüren. Das sind Kompositionen weit weg von der Stange. Herrlich auch das Southern Rock-angehauchte "Elegy". Auch "Green Green Grass" hat diesen southern spirit. Wobei, diese Nummer möchte ich auch gerne mal von den Glimmer-Twins interpretiert hören.
Erstaunlich auch die Tatsache, dass man zu keiner Zeit (und nicht nur, was dieses Album betrifft) auf den Gedanken kommen kann, es mit einer Band aus Deutschland zu tun zu haben. Ab "Transparent Eyeball" spielen die Mars Mushrooms übrigens in der aktuellen Besetzung. Bis auf den Keyboarder Lars Weißbach kennt sich die Truppe bereits seit Schulzeiten.

Live In Japan 2008

Live In Japan 2008

Im Jahr 2008 war die Musik der Fünf auch in Japan zu hören, was die CD "Live In Japan" auch vortrefflich dokumentiert. Es handelt sich dabei nicht um einen kompletten Konzertmitschnitt, sondern um Stücke aus Tokio, Kawasaki und Nagoya. Und live spielen ist das unbestrittene Terrain, auf dem sich die Band am wohlsten fühlt. Wenn man Monster wie "Belly Of A Whale", "Iguana Iguana" (mit toll akzuentiertem Drumspiel), den Elfminüter "The River >>> Nuclear Serenade" oder das gar dreizehnminütige "Lily Street >>> Lullaby" goutiert, muss man eigentlich nur die Augen schließen und schon ist man bei der Show dabei und kann mitmachen.
Ja, dass das Live-spielen den Pilzen besonders liegt, beweist auch das Vorhaben, ein kommendes neues Album wieder nicht im Studio einzuspielen. 2018 feiert die Band ihr 20-jähriges Jubiläum und da soll ausgiebig, auch mit Shows, gefeiert werden. Zum Ziel setzt man sich, auch den Herzberg einmal zu bespielen sowie wieder auf dem Finki aufzutreten.

 

Live aus der Schweiz 2010

Live aus der Schweiz 2010

Vielleicht kommt das nächste Album aber auch wieder aus der Schweiz, wo die Jungs bereits des Öfteren zu hören waren. So auch 2010, wie auf "Live aus der Schweiz" zu hören. Die Platte startet mit einem wahnsinnig spannenden "Intro Jam", der eigentlich perfekt als Filmmusik taugen könnte. Dem schließt sich mit "Baby You Smell Funky" ein weiteres Instrumental an, welches aufzeigt, dass die Mars Mushrooms nicht unbedingt auf textliche Botschaften setzen. Das spielt für den Hörer keine Rolle, denn die Kompositionen an sich sind Messages und in ihrer Performance darauf ausgelegt, die Fans vor der Bühne zu entführen.
Zu entführen in einen musikalischen Kosmos, der zu jeder Zeit Raum und Entscheidung lässt zu träumen, zu tanzen, oder aber mit offenen Augen den Künstlern da vor einem zu folgen, die gekonnt gesetzten Spannungsbögen zu genießen, oder einfach gut gelaunt mitzujammen. Denn Jammen können sie und das absolut eingespielt als Einheit. Es gibt keinerlei instrumentale Allüren Einzelner, alle schwimmen im Fluss und kreieren so eine Musik, die genau das macht, was Musik machen sollte: begeistern.

 

Sollte die Truppe in eurer Nähe aufschlagen, kann ich nur empfehlen, die Show zu besuchen.

Aktuelles Line-up:

Michael Schmidt (Gitarre, Gesang)
Lars Weißbach (Keys)
Thomas Kupser (Didgeridoo)
Christof Stellwag (Schlagzeug)
Christoph Hoffmann (Bass)

[Bilder mit freundlicher Genehmigung der Mars Mushrooms.]

 

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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Mail: ulli(at)rocktimes.de

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