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Deep Purple / inFinite – CD-Review

Deep Purple/inFinite

Ich gebe zu, dass ich (Jahrgang 1964) erst mit dem Album "Perfect Strangers" und damit 16 Jahre nach Bandgründung so richtig zu Deep Purple gestoßen bin.
Nach dem Fall des 'Eisernen Vorhangs' hatte ich dann das aus meiner Sicht große Glück, die sogenannte Mark II-Besetzung, mit der das eingangs erwähnte Deep Purple-Album im August 1984 aufgenommen worden war, live zu erleben. Wenngleich die berühmt-berüchtigten atmosphärischen Störungen zwischen Sänger Ian Gillan und dem Gitarristen Ritchie Blackmore zur damaligen Zeit auf der Bühne offenkundig waren, so waren doch die musikalischen Darbietungen der Protagonisten Hörgenuss vom Feinsten.

Ich wartete also stets voller Vorfreude auf Stücke wie "Knocking At Your Back Door" und "Perfect Strangers" aus dem 1984er Album, die mir allein schon den Konzertbesuch wert waren. Alles andere war gewissermaßen dankbare Zugabe und pure Freude, Vorfreude auf die nächste Begegnung inklusive.

Auf diese Weise habe ich mich in den Folgejahren auch mit den geringfügig veränderten Besetzungen innerhalb der Band problemlos arrangiert und Konzerte waren immer ein 'Best of'-Programm, ganz gleich zu welcher Zeit und mit welcher Setlist. Denn ein jeder Deep Purple-Hit der live zu hören war, galt für mich zweifelsfrei als Klassiker, ohne dabei eine Rangfolge aufstellen zu wollen. Ob Ritchie Blackmore oder Steve Morse der bessere Gitarrist für Deep Purple ist, diese Frage ließ ich nie an mich heran. Warum auch? Entscheidend war immer, mit welcher Spielfreude und Hingabe die Musiker ihre Konzerte absolvierten. Abstriche ließen sie mit ihren Leistungen und ihrer Leidenschaft nie zu.

Somit habe ich auch zum vorliegenden Album "inFinite" ein unverkrampftes Verhältnis und sehe das laut Eigenwerbung  der Plattenfima 'Beste Rockalbum des Jahres' als Resultat einer Band, die trotz ihrer jahrzehntelangen Geschichte 2017 noch einmal bestmöglich oben mitmischen möchte.
Das ist den Heroen der vergangenen 50 Jahre trefflich gelungen, weil sie sich erfrischend modern präsentieren, aber eben doch vor allem nach Deep Purple klingen. Machen doch im Kern der Klang der Hammond-Orgel, die markanten Gitarrenriffs und die Improvisationen noch immer den Stil des Quintetts aus. Mal geht es rockig, ein anderes Mal bluesig zu. Für mich klingen die Stücke zeitlos und die Briten (plus der Amerikaner Morse), die 1975 einmal als die 'lauteste Popgruppe der Welt' bezeichnet worden waren (weil sie damals dank einer 10.000 Watt Marshall-PA-Anlage in das Guinness-Buch der Rekorde eingingen), zeigen mit der Auswahl der eingespielten Stücke, wie spielend einfach es für sie ist, Aktuelles mit Klassikern live derart zu vereinigen, damit sich möglichst jeder Konzertbesucher wiederfindet.

Schon der mitreißende Opener "Time For Bedlam" zeigt auf "inFinite" den für die Band typischen Groove, dem sich die rockigen Stücke "Hip Boots" und "All I Got Is You" anschließen. Und irgendwie hört es sich manchmal zwischen den Zeilen nach einer Wehmut an, müssen wir uns doch angesichts der letzten großen Tournee der Briten und des Amerikaners von dieser Band bald für immer verabschieden, heißt ihre aktuelle Tour doch 'The Long Goodbye Tour'. Speziell "All I Got Is You" verbreitet dieses schleichende Gefühl und klingt für mich wie eine Abschiedshymne.

Bei "The Surprising" ist schon der Name Programm, denn überraschend sind die Songstrukturen im Refrain mit der orientalischen Note. Es bleibt allerdings ein Geheimnis der Band, warum sie ausgerechnet den Doors-Titel "Roadhouse Blues" als Rausschmeißer wählten, denn dieses Cover ist alles andere als typisch für Deep Purple. Damit endet das 20. Album der Band, dessen Titel zwischen Ohrwurm und Klassiker alles für den Fan bereit hält und damit Anhänger verschiedener Deep Purple-Epochen ansprechen sollte.

Gitarrist Steve Morse (inzwischen auch schon seit 1994 in der Band aktiv) und Keyboarder Don Airey (seit 2002 Tastenmann bei der Band) geben auf diesem Album klar den Ton an, während die Rhythmussektion mit Bassist Roger Glover (1969 – 1973 und seit 1984) und Schlagzeuger Ian Paice (seit Gründung der Band 1968 dabei) im Hintergrund solide Arbeit verrichtet. Ian Gillan zeigt in den bevorzugt tieferen Stimmlagen, warum auf ihn mit 71 Jahren noch immer Verlass ist und er keinesfalls bühnenmüde geworden ist. Allen Unkenruf zum Trotz.

Mit diesem, von Bob Ezrin produzierten Studioalbum macht Deep Purple deutlich, was uns nach der bevorstehenden Bandauflösung fehlen wird. Eine solche Formation, die 50 Jahre vortrefflich nachhaltige Hard Rock-Geschichte schreibt, wird es in Zukunft in unserer schnelllebigen Zeit definitiv nicht mehr geben. Trotz ihrer Besetzungswechsel, aus der man mit ein wenig Phantasie durchaus eine Wissenschaft ableiten kann, hat es Deep Purple immer wieder geschafft, Fans und Kritiker gleichermaßen zu überzeugen. Ihre Schaffensperiode ist deshalb nicht hoch genug einzuschätzen. Mit dem vorliegenden Album zeigen die Musiker, dass der Begriff 'Rock-Opas' angesichts ihres Alters mitnichten gerechtfertigt ist.


Line-up Deep Purple:

Ian Gillan (vocals)
Steve Morse (guitar)
Roger Glover (bass)
Ian Paice (drums)
Don Airey (keyboards)

Tracklist "inFinite":

  1. Time For Bedlam (4:35)
  2. Hip Boots (3:23)
  3. All I Got Is You (4:42)
  4. One Night In Vegas (3:23)
  5. Get Me Outta Here (3:58)
  6. The Surprising (5:57)
  7. Johnny’s Band (3:51)
  8. On Top Of The World (4:01)
  9. Birds Of Prey (5:47)
  10. Roadhouse Blues (6:01 )

Gesamtspielzeit: 45:37, Erscheinungsjahr: 2017

Über den Autor

Mario Keim

Musikstile: Heavy Rock, Rock, Deutschrock, Hard Rock
Marios Beiträge im RockTimes-Archiv

1 Kommentar

  1. H-J

    Dieses Statement kann ich voll und ganz unterstützen.
    Die Scheibe ist sehr gelungen und klingt frisch und kraftvoll.
    Ich hoffe, dass die "Long good bye Tour" recht lange geht.
    Die Akteure haben sich in dieser Hinsicht ja auch alles
    offengelassen….

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