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Loving The Sun / The Insight Light – CD-Review

Loving The Sun / The Insight Light

Es ist erst ein paar Tage her, da schickte mir Ulli von der Chef-Redaktion einen Link mit der Bitte, mal rein zu hören: »Kannst Du Dir vorstellen, auch darüber mal was zu schreiben, obwohl es eigentlich nicht in Deinem Beuteschema liegt?«
Ich konnte, und das aus voller Überzeugung. Sanfte Klänge haben mich neben den weitgehend eher wilderen musikalischen Exzessen eben auch immer ein wenig begleitet und so kommt es fast einem Ritterschlags gleich, die neue Platte von Loving The Sun besprechen zu dürfen, sind doch schon viele Kollegen aus ebenfalls eher aggressiveren Lagern dieser Musik verfallen. Ich freue mich, in diesen Reigen einsteigen zu dürfen.

Folkige Arrangements mit mystisch einnehmenden, weiblichen Stimmen – lange hab ich mich gefragt, woran diese Grundstimmung vom ersten Hörgang erinnert. Irgendwann wurde mir klar, dass viele Assoziationen mich zu Fairport Convention und Sandy Dennys eindrucksvoller Stimme lenken. Auch dort war es das hinreißende Zusammenspiel mit der sanft melancholischen Gitarre des genialen Richard Thompson, woraus die Band ihre fantastische Wirkung bezog. Richard praktizierte diesen Stil auch immer wieder mit seiner Frau Linda. Was damals schon passte, klingt in diesen oft absurd chaotischen Tagen auf "The Insight Light" wie ein Balsam auf der Seele. Doch gelegentlich entschlüpft auch ein wenig vom psychedelischen Spirit einer Grace Slick aus der Zeit, als Jefferson Airplane noch ein weißes Kaninchen gesehen haben. Den drogenbezogenen Anspielungen und zahlreichen, zeitgeschichtlichen Bezügen der alten Psychedeliker werden wir jedoch hier nicht ausgesetzt. Unser Trip führt in ein Universum friedlich freundlicher Entspannung, eine frühlingshafte Wiese mit blühenden Blüten, die aus dem nahrhaften Boden sanft driftender und nach Lavendel duftender Songs entwachsen. Und doch sorgt ein allgegenwärtiger Geist des Blues über das gesamte Album dafür, dass wir nicht in ein esoterisches Märchenland abdriften, sondern immer genau die Bodenhaftung bewahren, die uns träumen, aber nicht halluzinieren lässt.

Der Titelsong, "The Inside Light", gibt sogleich vor, was uns erwartet: Sanfte Gitarren und zurückgenommene Frauenstimmen, immer ein wenig verträumt und irgendwie von dieser Welt fliehend umgeben uns, aber eben auch ein Rhythmus, der mit einem leichten Hauch poppiger Rhythmik keinen Hehl daraus macht, dass man keine Reise in ein fernes Universum anstrebt, sondern bodenhaftend erdig und tief in folkigen Klängen verharrend dem Wesen der Dinge nachspüren möchte.

Faszinierenderweise obliegt der Gesang nicht einer einzelnen Protagonisten, nein, der Mastermind der Band und Multi-Instrumentalist, Joe Weninghoff, der für die Gitarren und Keyboards verantwortlich zeichnet, umgibt sich gleich mit vier starken Frauen, die ihre musikalische Power auf eindringliche und mitnehmende Weise über das Konstrukt der sehr wohl abwechslungsreichen Songs legen, wobei der Hauptteil der Vocals Ute Kuchenbecker zuzuschreiben ist, die auch die Majorität an den geschriebenen Texten ihr eigen nennen kann. Wenn die Gitarre akustisch einhergeht, mag man sich ein wenig an die Musik von Jackson Browne erinnern, vielleicht hier und da sogar ein wenig entführt in die Solo-Americana-Welt meines Lieblingshelden aus Asheville, North Carolina. "White Lily" wäre ein schönes Beispiel dafür.
Die unter Strom stehenden Saiten vermitteln mir gelegentlich eine wohlige Erinnerung an Michael Rothers Scheiben aus den späten Siebzigern, wie in dem wunderschön zarten Blues "The Unbreakable Bond".

"Guardian Angel" ist dann ein wundervolles Kleinod, wo man sehnsüchtig an die frühe Zusammenarbeit zwischen dem bereits zitierten Jackson Browne mit David Lindley zurückdenkt. Oder eben an Fairport Convention – jeder, wie er mag. Die zarte, vermeintliche Fiddle im Solo, die dem Inlet folgend wohl eher vom Keyboard assimiliert wird, unterstreicht dies nur noch mehr. Würde man die Musik auf 1972 datieren und in die Vereinigten Staaten schätzen, man hätte eigentlich alles richtig gemacht – und doch datiert sie aus unseren Tagen und Gefilden, auch wenn der Song, zusammen mit zwei weiteren Nummern, dieses Albums bereits 2015 als Single erschienen ist. Dass man heute solche Lieder hierzulande noch geboten bekommt, ist eine Freude, mit der ich kaum gerechnet hätte. Gänsehaut? Na klar!

Dass der rhythmische Antrieb mitunter ein wenig Pop gespeist daherkommt, zeigt sich unter anderem im nachfolgenden "From The Darkness To The Light" mit seiner schönen Mandolinen-gleichen Gitarre im Solo. Dieser eingängig groovende Rhythmus legt tief versteckte Erinnerungen an eine Formation namens Frederick Goldman Jones frei, die in den Achtzigern einst eine schöne Platte produzierten und die ich längst vergessen glaubte. Wer sie nicht kennt, mag mal nach dem Song "Nuit" suchen, ein entspannt treibendes Meisterwerk voller Harmonie und Zuversicht.
Hier treffen sich astrale Stränge aus verschiedenen Epochen und zeigen, dass der ewige Fluss der Musik die Klippen des jeweiligen Zeitgeschehens lässig umschifft, wenn es schlicht und einfach darum geht, zeitlose Gefühle darzustellen.

Man sollte sich bei all den einnehmenden Klängen jedoch nicht der Illusion hingeben, wir würden uns mit der vorliegenden Musik vorübergehend in ein Wolkenkuckucksheim begeben. Wer dem Text von "Hold Your Head Up High" aufmerksam folgt, wird sich konfrontiert finden mit all den Problemen, die die aktuelle europäische Gesellschaft spaltet, eine Bestandsaufnahme, die man angesichts des sanften musikalischen Ausdrucks vordergründig nicht erwarten würde: »…blowjobs, rape and abuse child, the world ist dirt outside«, das ist harter Tobak, doch der Titel fordert auf, Position zu beziehen.

Das Album "The Inside Light" verspricht uns schon im Titel innere Einsichten und die Musik hält spielend den Erwartungen stand. Der entspannte Erzählfluss der Nummern nimmt einen mit, aber am meisten faszinieren mich die eindeutigen Bezüge zu historischer amerikanischer Musik zwischen Folk, Blues und Psychedelik. Ein Spannungsfeld, aus dem einige der aufregendsten Projekte der Rockmusik entwachsen sind. Diese Musik lässt der persönlichen Meditation und dem Titel folgend die Erkenntnis des inneren Lichtes freien Raum. Einem Raum, in dem man schnell der Realität entfliehen und in eine tranceartige Welt der Farben, der freien Gedanken und Gefühle eintreten kann – das alles ohne psychedelische Pilze und seltsame Substanzen. Das ist der gravierende Unterschied zu den Urvätern. Aber die Musik bleibt eben auch immer erdverbunden, ich denke, das macht sie so kultig.

Wer derart aktive Bezüge zu einer Zeit der Flowerpower mit sanft eleganten Arrangements und doch einem fast federleicht dahin schwebenden Blues zu einem stimmigen Konzept verbindet, der schenkt unserer unruhigen Welt etwas, was in diesen Tagen seltener ist als je zuvor. Ein Stückchen inneren Frieden, eben "The Inside Light".


Line-up Loving The Sun:

Joe Weninghoff (guitar, keyboards)
Ute Kuchenbecker (vocals – #1, 2, 4, 6, 7, 8)
Insa Van Schwartzenberg (vocals – #3, 5, 9)
Marie Craven (vocals – #7)
Andrea Heukamp (backing vocals)
Uwe Hasenkox (drums – #1, 5, 8, 9)
Jörg Langanke (bass – #1, 3, 4, 6, 8)
Charly Brüggemann (bass)
Siggi Mertens (guitar – #3, 5, 9)
Hartwig Kerkhoff (drums – #7)
Jürgen Kötting (drums – #4, 6)

Tracklist "The Inside Light":

  1. The Inside Light
  2. There Is No Other Girl
  3. White Lily
  4. The Unbreakable Bond
  5. Guardian Angel
  6. From The Darkness To The Light
  7. Slow Train
  8. Hold Your Head Up High
  9. Nature

Gesamtspielzeit: 36:18, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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