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Jonathan Segel / Superfluity – CD-Review

Camper Van Beethovens Jonathan Segel, auch Sparklehorse, Eugene Chadbourne, Øresund Space Collective, Hieronymus Firebrain, Jack & Jill oder Sista Maj hat bei so vielen Aktivitäten auch noch Zeit gefunden, sich um sein Solo-Werk "Superfluity" zu kümmern. Zu Veröffentlichungen unter seinem Namen zählen unter anderem "Storytelling" (1988), "Edgy Not Antsy" (2003), "Honey" (2007) oder "Shine Out" (2014).
Beim vorliegenden Doppeldecker verteilt Jonathan Segel seine kompositorische Saat ziemlich großflächig. Von Avantgarde über Progressive oder Psychedelic bis zum Rock sind verdammt viele Stile auf "Superfluity" vertreten.

Vielleicht sollte vor den Eindrücken der Musik geschrieben werden, dass auf der ersten Scheibe eine Überraschung versteckt ist, die man erst wahrnimmt, wenn sich die CD im Player befindet. Die Tracklist auf der Verpackung verzeichnet insgesamt neun Lieder, aber es gibt noch einen Zehnten mit dem Titel "Phenomenon And On" und der hat eine imposante Spielzeit von knapp unter vierundzwanzig Minuten. Beachtlich!
Die so zusammengezählt siebzehn Kompositionen verfügen über ein weit gespanntes Dach und sind von hoher künstlerischer Qualität. "Superfluity" muss man aufgeschlossen und vorurteilsfrei begegnen, sonst wird es nichts mit einer Freundschaft. Der Doppeldecker enthält phasenweise doch speziell-ausgefallene Nummern, die quasi erobert werden wollen. Nicht immer wird die Lunte des Gefallens sofort entzündet. Aber wenn sie einmal brennt, kann man sich in einen Kosmos vertiefen, der einem nur gute Laune bereiten wird.

Auch wenn der Protagonist mit Gitarren, Keyboards, Violine und Bass ziemlich viele Instrumente spielt, ist "Superfluity" kein lupenreines Soloalbum, denn den Künstler unterstützen noch Kelly Atkins (20 Minute Loop) sowie Sanna Olsson am Gesangsmikrofon und Schlagzeuger Mattias Olsson (Pineforest Crunch, Änglagård, Necromonkey), Chris Pedersen (Monks Of Doom, Camper Van Beethoven) und Andreas Axelsson. Bei zwei Lieder zupft Mats Burman den Tieftöner und Stian Grimstad bläst die Posaune in "Strawberry Sun" sowie "The Luxury Of Dying".

Mit einer sich von den Gitarren her immer weiter steigernden Dynamik nimmt die erste CD schon ordentlich Fahrt auf. "Equilibrium Part 1" ist ein klasse Opener mit einem schön arrangierten Instrumentarium. Die zweite Buchstütze des Albums ist "Equilibrium Part 2", mit der die Zweite dann endet. Hier geht es etwas besinnlicher zu. Kelly Atkins und Sanna Olsson ergänzen Jonathan Segels Gesang perfekt. Schön, wie mit den weiblichen Stimmen zusätzliche Stimmungen erzeugt werden. Besinnliche Pianoklänge sind dann das endgültige Schlusslicht des Albums.
Jonathan Segel hat einen nicht von der Hand zu weisenden Hang zu wunderschönen Melodien, die er manchmal mit einer etwas lasziven Stimme vorträgt. So sind "Mouse" und "Cat & Mouse" nur zwei Belege dafür. Auch hier sind die Instrumente mit Bedacht ausgewählt worden.
Schnitt! Mit "Imply It, Deny It" wechselt man die musikalische Richtung und Farben der Atmosphäre. Prog Rock ist angesagt und der wird auch durch durchaus schrägere Gitarrenfahrten auf Trab gehalten. Nach einem relativ eingängigen Beginn offenbaren Jonathan Segel & Co. uns jetzt eine andere Vorlieben-Seite. Das instrumentale "The Seventh Wave" ist ähnlich strukturiert und nimmt nach einer gelungenen Einleitung etwas Fahrt auf. "Rain Down" ist so etwas wie kathedraler Prog Rock und "Sleep For A Hundred Years" steht für tollen Rock.

Schon der Auftakt von "Silent Notes" lässt wieder eine Wendung erahnen. Das Stück hat experimentellen Charakter. Jonathan Segel bringt seine Violine in verfremdeter Form ein und was man in dieser Nummer mit Gesang, Stimmen und Worten macht, ist sehr geschickt gelöst. Zum großen Teil wird das Stimmen-Band rückwärts abgespielt und "Silent Notes" geht quasi nahtlos in "Like Mercury, It Slips Through Your Fingers" über. Mit diesem Lied befinden wir uns in der ziemlich frei improvisierten Phase, die ganz klar durch beeindruckende Sechssaiter-Fantasien geprägt wird. Dabei gibt es nur dezent gehaltene Drum-Begleitung, die in den letzten Minuten intensiviert wird. "Like Mercury, It Slips …" konterkariert den Beginn der ersten Scheibe.
"Phenomenon And On" entführt den Hörer dann vollends in einen gewissermaßen einzigartigen Jonathan Segel-Kosmos. Die Violine variiert Stimmungen und die anderen Musiker improvisieren dazu. Ohne Groove aber mit viel Intensität schwankt das Stück zwischen bedrohlich, versöhnlich und verträumt. Aus meiner Sicht sind diese fast vierundzwanzig Minuten großes Kino. Andere mögen es vielleicht als zusammenhangloses Gedudel bezeichen.

"The Luxury Of Living" und "The Luxury Of Dying" kann man durchaus als musikalische Antagonisten bezeichnen, denn was im ersten Track als farbenfrohe Nummer daher kommt, wird in "The Luxury Of Dying" in aller Kürze aufgegriffen, aber letztendlich durch Stian Grimstads Posaune in eine düster erscheinende Stimmung umgewandelt. Das Titelstück "Superfluity" sowie "No Backup Plan" sind klasse Rock-Nummern mit einem zum Teil fein polierten Rückspiegel-Blick in die Musikgeschichte und "The Dying Stars" bringt auf wunderbare Art und Weise wieder den Jam-Charakter der Scheibe zum Vorschein.

Jonathan Segel hat mit "Superfluity" ein Juwel geschaffen, der sehr individuelle Ausdrucksformen von Musik wiederspiegelt und deswegen besondere Aufmerksamkeit verdient hat. Hats off, Jonathan Segel!


Line-up Jonathan Segel:

Jonathan Segel (vocals, guitars, keyboards, violin, bass)
Kelly Atkins (vocals)
Sanna Olsson (vocals)
Mattias Olsson (drums)
Chris Pedersen (drums)
Andreas Axelsson (drums)
Mats Burman (bass)
Stian Grimstad (trombone)

Tracklist "Superfluity":

CD 1:

  1. Equilibrium [Part I] (3:17)
  2. Mouse (4:15)
  3. Cat & Mouse (3:28)
  4. Imply It, Deny It (3:49)
  5. The Seventh Wave (2:23)
  6. Rain Down (3:03)
  7. Sleep For A Hundred Years (6:47)
  8. Silent Notes (4:22)
  9. Like Mercury, It Slips Through Your Fingers (12:47)
  10. Phenomenon And On [Bonus Track] (23:58)

CD 2:

  1. The Luxury Of Living (3:25)
  2. Strawberry Sun (5:24)
  3. Superfluity (8:07)
  4. The Luxury Of Dying (1:07)
  5. No Backup Plan (4:25)
  6. The Dying Stars (16:26)
  7. Equilibrium [Part II] (2:11)

Gesamtspielzeit: 68:31 (CD 1), 41:06 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2017

Über den Autor

Joachim 'Joe' Brookes

Genres: Blues, Blues Rock, Alternative Music, Space Rock, Psychedelic Music, Stoner Rock, Jazz ...
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